Auswirkungen von Kontaktbeschränkungen auf das humane Darmmikrobiom und Immunsystem

Die Auswirkungen von Kontaktbeschränkungen (z.B. Lockdowns) auf das humane Darmmikrobiom und damit auch auf das Immunsystem, vor allem auf das der Kinder.

Was ist das Mikrobiom?

Das Mikrobiom ist eine Gemeinschaft von Pilzen, Hefen, Viren und Bakterien, die in unserem Darm vorkommen. Die Mikroben in unserem Darm existieren in einem Verband, das heißt, sie interagieren miteinander und bilden Multispeziesgemeinschaften in einem sog. Habitat. Das Mikrobiom ist von essenzieller Bedeutung für ein gut funktionierendes Immunsystem. Die Zusammensetzung des kindlichen Darmmikrobioms und der permanente Austausch von verschiedensten (meist nicht pathogenen) Keimen formt das Immunsystem. Auch Umweltbedingungen, wie Hygienemaßnahmen aber auch Diätverhalten beeinflussen das Mikrobiom. Faktoren, wie Umwelt und Kontakte zu anderen Menschen, entscheiden, in welchem Ausmaß sich im Laufe des Lebens Krankheiten, wie Allergien, Fettleibigkeit, Autoimmunerkrankungen und mehr entwickeln können. Auch im weiteren Leben wird das Mikrobiom eines Menschen von den oben genannten Faktoren beeinflusst.

Die Diversität des Mikrobioms wurde durch die gesteigerte Hygiene, aber auch häufige Antibiotikagabe, sowie die verstärkte Urbanisierung über Jahrzehnte hinweg reduziert. Durch die COVID-19 Pandemie wurde dieser Effekt noch verstärkt. Besonders Menschen mit Vorerkrankungen, wie Diabetes oder Fettleibigkeit sind da im Fokus, da diese Krankheitsbilder mit Abnormalitäten im Mikrobiom assoziiert sind. Durch COVID-19 Maßnahmen wie „social distancing“, exzessive Hygiene und Reisebeschränkungen gibt es bereits nachhaltige Auswirkungen auf das humane Mikrobiom. Es ist sehr wahrscheinlich, dass viele der Mikroben ganz verschwinden werden. Die häufigen Kontakteinschränkungen über die letzten drei Jahre haben die Zusammensetzung des Darmmikrobioms verändert. Ohne Kontakte können wir unser Immunsystem nicht ausreichend trainieren, was besonders wichtig für Kinder ist. Die Folgen sehen wir jetzt deutlich an der Anzahl der erkrankten Kinder.

Ich möchte noch kurz erwähnen, dass es neben dem Darmmikrobiom auch ein Mikrobiom der Haut und einige mehr gibt. Die Zusammensetzung des Mikrobioms des Darms und der Haut ist unterschiedlich.

Die Bedeutung des Mikrobioms für die kindliche Entwicklung

Für Kinder ist es von enormer Wichtigkeit mit anderen Kindern (und natürlich auch Erwachsenen) in Kontakt zu kommen, denn dabei werden Keime ausgetauscht, die beim Aufbau des Mikrobioms mithelfen. Das Mikrobiom spielt bei der Etablierung des Immunsystems eine entscheidende Rolle. Das Mikrobiom wird in den ersten Jahren geformt, verändert sich stetig im Laufe des Lebens abhängig von den Essgewohnheiten, Medikationen, Umwelt und Kontakten zu anderen. Durch ungünstige Veränderungen des Mikrobioms können Krankheiten, wie Diabetes, Fettleibigkeit, Allergien und vieles mehr entstehen. Der Grundstein für eine gesunde Zukunft wird in den ersten Lebensjahren gelegt. Bereits der Vorgang der Geburt aber auch das Stillverhalten beeinflussen das Mikrobiom.

Einige Fakten:

  • Es sind nicht die Infektionen der Atemwege, die das Immunsystem der Kinder trainieren, sondern die vielen verschiedenen Mikroben, die sich im Darm befinden.
  • In Studien mit Tieren, die kein Mikrobiom hatten, zeigte sich, dass die Tiere einen hohen Spiegel an IgE entwickelten – die Antikörper, die mit allergischen Entzündungen einhergehen.
  • Der Kontakt mit der Natur und den Tieren auf Bauernhöfen kann das Risiko von Allergien senken. Hingegen kann die Antibiotikagabe in der frühen Kindheit die Entstehung von Allergien, Autoimmunerkrankungen und Stoffwechselkrankheiten begünstigen, da die Balance von Aufnahme und Verlust von Mikrobenarten gestört wird.

COVID-19 Pandemie und die frühkindliche Entwicklung: Die Geburt und die frühkindliche Phase sind kritisch für die Entwicklung des Mikrobioms. Der Darm des Neugeborenen wird von den Mikroben der Mutter „besiedelt“ und durch das Stillen werden diese Mikroben mit den richtigen Nährstoffen versorgt. Schon zu diesem Zeitpunkt wird das Mikrobiom durch die äußeren Umstände, wie Kaiserschnitt, oder Ernährung des Kindes, bzw. gesteigerte Hygienemaßnahmen, beeinflusst. Veränderte Spitalspraktiken oder Maßnahmen, wie die Trennung von Mutter und Kind oder das Unterbinden des Stillens während der Pandemie, können die Besiedelungsphase unterbrechen. (Mehr Information in der zitierten Publikation) 

COVID-19 Erkrankung und das Mikrobiom

Das Zusammentreffen der kontinuierlichen Veränderung (Verlust) des Mikrobioms und der COVID-19 Pandemie stellt eine einzigartige Möglichkeit dar, einige essenzielle Fragen über den Menschen und sein Mikrobiom zu untersuchen.

Es gibt nur wenig direkte Evidenz über die Interaktion von SARS-CoV-2 mit dem humanen Mikrobiom. Aber es gibt einige faszinierende Beobachtungen in diesem Kontext, die man nur schwer ignorieren kann. Zwei davon sind hier erwähnt.

Studien mit einer kleinen Gruppe COVID-19 Patienten haben folgendes gezeigt. 1) Ein Mikrobiom, angereichert mit verschiedenen Clostridienstämmen, Coprabazillen, Candida und Aspergillus sowie das Fehlen von „guten“ Bakterien (wie Faecalibacterium), kann mit der Schwere einer COVID-19 Erkrankung korreliert werden. 2) Demografische Analysen über die COVID-19 Todesraten in 122 Ländern weisen darauf hin, dass eine große Mikrobenvielfalt im Darm die Sterberate reduziert (Reinheit des Trinkwassers, Wohnumstände etc.).

Die Autoren dieser Studie folgern, dass das angeborene Immunsystem durch die Vielfalt von Mikroben stimuliert wird. Dadurch ist der Spiegel von Type I Interferon erhöht (und damit das angeborene Immunsystem aktiviert), was wiederum die COVID-19 Mortalität senken kann. Weitere Beispiele im Zitat am Ende des Artikels.

Dr. Renate Konopitzky (PhD)

The hygiene hypothesis, the COVID pandemic, and consequences for the human microbiome

B. Brett Finlay &, Katherine R. Amato ‚, Meghan Azad ‚, +19, and Tamara Giles-Vernick

PNAS; January 20, 2021 118 (6) e2010217118 https://doi.org/10.1073/pnas.2010217118

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