Unabhängige Studien deuten auf eine Verbindung von häufiger Antibiotika Gabe und der Entstehung von Tumoren des aufsteigenden Kolons hin

Neben bereits gut erforschten Risikofaktoren für Dickdarmkrebs, wie Fettleibigkeit, Ballaststoffarme Ernährung, vermehrter Alkoholkonsum und Rauchen, könnte ein weiterer potenzieller Risikofaktor, nämlich der häufige Gebrauch von Antibiotika, ins Blickfeld rücken. Momentan sind die Mechanismen, die bei der Entstehung dieser Tumore eine Rolle spielen, noch ungeklärt.

Studien aus dem britischen Königreich (UK) und Schweden geben reproduzierbare Hinweise auf eine Assoziation von Antibiotika Gabe und Colon-Karzinom. In diesen Studien wurden Daten aus den verschiedensten Bevölkerungsgruppen ausgewertet. Eine der Studien aus UK basiert auf Daten, die über einen Zeitraum zwischen 1989 – 2012 gesammelt wurden.

Die Forscher beobachteten ein Quotenverhältnis* (QV) beim Vergleich zweier Kohorten von 1,17. Das bedeutet, dass die Gruppe mit der Historie von Antibiotika Behandlungen ein erhöhtes Risiko haben, an Krebs des aufsteigenden Colons zu erkranken (im Vergleich zur unbehandelten Gruppe). Krebserkrankungen des absteigenden Colonabschnittes sind zwar die häufigste Form des Dickdarmkrebs, bleiben aber dadurch unbeeinflusst.

Auch in Schweden wurde eine ähnliche Beobachtung gemacht. In dieser Studie wurde die gesamte Bevölkerung Schwedens (National Health Register) im Zeitraum von 2005 – 2012 einbezogen. Der Beobachtungszeitraum von 12 Jahren ist zwar für diese Art von Studie kurz, dennoch konnten auch hier Hinweise zu einem ähnlichen Zusammenhang zwischen Antibiotika Gabe und Colon Karzinom des aufsteigenden Colons beobachtet werden. Je mehr Antibiotikum genommen wurde, desto höher das Risiko. Das beobachtete Risiko war relativ konsistent.

Wie bereits erwähnt, war die Studie relativ kurz, wenn man bedenkt, dass die Entwicklung eines Colon-Karzinoms ein sehr langer Prozess ist, der über mehrere Dekaden dauern kann (Polyp -> Adenom -> Karzinom), wodurch vielleicht später auftretende Tumoren nicht mehr einbezogen wurden.

Eine Hypothese zum potenziellen Mechanismus der Entstehung könnte ein „Spillover“ Effekt des Antibiotikums aus dem Dünndarm sein. Das nicht vollständig im Dünndarm aufgenommene Antibiotikum ist am Eingang in das Colon noch „toxisch“ und wird erst im Laufe der Passage durch den Dickdarm durch die Darmbakterien in weniger toxische Abbauprodukte umgewandelt. Diese Hypothese passt auch zur Beobachtung, dass kein Einfluss auf die Bildung von Tumore im absteigenden Colon beobachtet wurde (im letzten Abschnitt ist das Antibiotikum schon komplett abgebaut).

Antibiotika beeinflussen natürlich auch die Bakterien des Darmmikrobioms. Wenn ein Zusammenhang zwischen einer Antibiotikum Behandlung und deren Wirkung auf das Mikrobiom und der nachfolgenden Tumorentstehung besteht, dann müsste es einen Unterschied geben zu einem Arzneimittel, welches bakterielle Infektionen verhindern kann, aber das Mikrobiom nicht beeinflusst (z.B. bei Harnwegsinfekten eingesetzt). Genau diese Art von Arzneimittel hatte keinen Einfluss auf das Krebsrisiko.

Eine weitere Stufe der Komplexität im Zusammenhang von Antibiotikum, Mikrobiom und die Entstehung von Tumore wurde durch eine Meta-Analyse von verschiedenen Studien in Italien erreicht. Für diese Analyse wurden Daten, die die Assoziation zwischen einer Antibiotikum Historie und der Entstehung von Lungenkarzinom, Lymphoma, Pankreaskarzinom, Nierentumoren und Multiples Myelom beleuchten, gesammelt. Es scheint so, dass eine geringe Dysbiose des Darmmikrobioms schon Entzündungen an anderen Stellen im Körper auslösen kann. Die Entstehung von Tumore wird mit permanenten Entzündungsreaktionen im Körper in Verbindung gebracht. Es gibt in diesem Zusammenhang schon viele Publikationen darüber, dass sich das Mikrobiom von Krebspatienten von jenem gesunder Personen unterscheidet.

Es ist sehr wichtig, ausführlich zu untersuchen, ob der Zusammenhang der Antibiotika Behandlung und der Einfluss auf das Mikrobiom und damit als potenzielle Langzeitnebenwirkung tatsächlich eine Rolle bei der Entstehung von Tumore spielt. Dazu sind viele weitere Studien erforderlich. 

Dr. rer. nat. Renate Konopitzky

* ein Quotenverhältnis von 1 bedeutet gleiche Quoten zwischen zwei unterschiedlichen Kohorten (1, 2). QV größer 1 bedeutet, dass das Risiko zu erkranken bei der 1. Gruppe größer ist; demzufolge zeigt ein QV kleiner 1 eine niedrigere Chance der 1. Gruppe zu erkranken.

Literaturhinweise

1. Cancer Cytopatholgy, May 2022, Nelson B. https://doi.org/10.1002/cncy.22582

2. Gut 2019; 68: 1971-1978; https://doi:10.1136/ gutjnl-2019-318593

3. J Natl Cancer Inst. 2022; 114: 38-46; https://doi:10.1093/jnci/djab125

4. Cancers 2019, 11(8), 1174; https://doi.org/10.3390/cancers11081174

5. Int J Mol Epidemiol Genet. 2016; 7:105-114, Marley AR

Loading